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Wiedersehen und Ankommen in der Baobab Gemeinschaft

  • Autorenbild: Lara
    Lara
  • 22. März
  • 15 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 23. März

Hallo liebe Menschen und Wegbegleiter*innen,

Der Blogeintrag hat etwas auf sich warten lassen. Kurz vor Fertigstellung des Eintrags war plötzlich nur noch der Anfangsteil sichtbar und ich musste den Text erneut schreiben. Umso mehr freue ich mich, euch nun einen näheren Einblick in die Projektarbeit in der Baobab Children Foundation zu geben.

Viel Spaß beim Lesen! :)



Akwaaba (Willkommen) to Baobab!


Mit diesen Worten werden wir freudig singend von den Schüler*innen, dem Schulleiter und General Manager unter einem großen Mangobaum im Baobab Center empfangen. Hier leben und lernen ca. 100 Jugendliche zusammen.

Akwaaba Song

Mittlerweile sind wir bereits knapp zwei Wochen hier und haben uns sehr gut eingelebt. Für mich ist es ein Zurückkommen an einen vertrauten Ort. Vor 13 Jahren habe ich meinen einjährigen Freiwilligendienst in der Baobab Children Foundation absolviert und war im Anschluss vor 10 Jahren nochmal zu Besuch. Es ist ein besonderes Gefühl nach längerer Zeit an diesen Ort zurückzukehren. Wir werden von strahlenden und bereits bekannten Gesichtern empfangen, die uns herzlich in die Arme schließen. Ich werde mit Worten, wie „Eyyy and we missed you“ begrüßt und dass es schön ist, dass ich wieder hier bin. Ein Mitarbeiter sagt, dass er sich sehr wertgeschätzt fühlt, dass ich mich dazu entschieden habe eine Zeit lang im Projekt zu arbeiten. Er möchte sich im Namen des Projektes dafür bedanken. Beim Wiedersehen wird mir bewusst, welch besondere Zeit ich während meines Freiwilligendienstes hatte und dass ich bis heute Teil der Baobab Familie bin und die Verbindung nie weggewesen ist. Ich bekomme die Rückmeldung, dass der unermüdliche Einsatz und Beitrag, den meine Mitfreiwilligen und ich zu unserer Zeit geleistet haben, noch immer nachhallt. Viele erinnern sich an gemeinsame Erlebnisse, die wir freudig austauschen. Sie freuen sich Jona näher kennenzulernen und stellen neugierig Fragen.

Ich treffe auch einige ehemalige Schüler*innen, die teilweise leitende Funktionen in den verschiedenen Workshops, wie Schreinern, Farm, Rattanmöbelbau oder im akademischen Unterricht übernommen haben. Jungs, die damals noch die „Kleinen“ waren, stehen plötzlich als junge Männer vor mir und tragen Bart. Auf der einen Seite fühlt es sich so an, als wäre ich erst vor kurzem hier gewesen und andererseits wird mir deutlich, dass auch ich mich in den letzten 13 Jahren weiterentwickelt habe und mich deutlich reifer und erwachsener fühle. Ich zeige Jona das Projektgelände und entdecke viele neue Gebäude. Ein neues Mädchenschlafhaus, das Gesundheitszentrum, in dem Jona arbeiten soll, die erweiterte Schreinerei, eine Ausbildungsküche und das neue Haus, das gerade für Edith, eine ehemalige Schülerin gebaut wurde. Ein alt bekannter Teil von Baobab existiert bis heute. Es ist der gute alte Schulbus. Old but gold und immer noch am laufen. Auch wenn es bereits einen neuen Bus für längere Strecken gibt, wird der alte Bus von Oga, dem Busfahrer mit voller Leidenschaft gefahren.

Zitat Oga: „I still feel him!“

Beim Laufen durch das Projekt schauen uns viele der Schüler*innen neugierig an, kommen auf uns zu und fragen nach unserem Namen. Anfangs werden wir für Bruder und Schwester gehalten. Nach Aufklärung unseres Verhältnisses werde ich die Tage danach häufiger nach meinem Ehemann gefragt.

Besonders freudig ist das Wiedersehen mit Bright und Collins. Zwei Brüder, die unter Muskeldystrophie leiden und vor 13 Jahren noch laufen konnten. Mittlerweile sitzen sie im Rollstuhl und sind stärker in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Die Beiden erinnern sich sofort an die gemeinsamen Übungen, die wir damals zusammen gemacht haben. Auch an die kreativen Workshops zum Buchbinden am Wochenende hat Bright noch genaue Erinnerungen.

Ich freue mich auf ein neues Kapitel in der Baobab Children Foundation und darauf, unsere Arbeit mit dem Leben in der Gemeinschaft zu verbinden.

Wir geben uns alle Mühe, die 100 Jugendlichen bald mit Namen ansprechen zu können, doch das wird wohl noch ein paar Tage dauern.



Ein Tag bei Baobab

Der Tag beginnt hier früh. Um 05:30 ertönen die Lautsprecher der zwei umliegenden Dörfer in voller Lautstärke. Es werden Neuigkeiten mit der Dorfgemeinschaft geteilt, die wir nicht verstehen. Sie werden in der lokalen Sprache Fanti wiedergegeben. Langsam erwachen auch die Schülerinnen und Schüler. Da wir neben dem Mädchenschlafsaal untergebracht sind, werden wir von ersten Gesprächen und Gesängen wach. Dazu klappern die Eimer für das morgendliche Bad und Fegegeräusche sind zu hören. Bei Baobab ticken die Uhren anders, und zwar im Klang der Schulglocke. Sie läutet bei allen wichtigen Angelegenheiten und begleitet die Gemeinschaft durch den Tag. Das erste Läuten um 7:15 Uhr gilt dem Frühstück. Nach und nach kommen alle Schüler*innen mit ihrer Schüssel zur Essensausgabe geschlendert. Morgens gibt es Brei in unterschiedlichen Ausführungen. Um 08:00 Uhr startet der akademische Unterricht. Alle drei Wochen erhalten die Jungs und Mädchen getrennten Aufklärungsunterricht auf Hockern unter dem großen Mangobaum. Dabei werden Themen wie Verhütung, Krankheiten und Jugendschwangerschaft besprochen.

Aufklärungs- und Gesundheitsunterricht
Aufklärungs- und Gesundheitsunterricht

Um 11:45 Uhr ertönt die Glocke zum Mittagsessen. Am Nachmittag lernen die Schüler*innen in ihren praktischen Workshops. Dazu gehören: Kenteweben, Rattanmöbelbau, Schreinern, Nähen, Catering/Kochen, Batiken und Farmarbeit. Um 15:30 läutet die Glocke zum Schulschluss. Nun beginnt die Freizeit- und Nachmittagsgestaltung. Einige der Schüler*innen gehen duschen, spielen Fußball oder sitzen mit Freund*innen zusammen und quatschen. Es herrscht ein munteres Treiben, während das Abendessen auf dem Feuer gekocht wird. Abends gibt es Gerichte wie Banku (ein Gericht aus fermentiertem Mais- und Maniokmehl) mit einer Suppe aus Erdnuss oder Palmnuss, Kenkey (eingewickelter Kloß in Bananenblätter aus fermentiertem Maismehl) und Tomatensauce, Reis mit Bohnen, Kokonte (Gericht aus getrocknetem und gemahlenem Maniok- und Yamsmehl, der zu einem Brei gekocht wird) mit Erdnusssuppe. Einige Gerichte, wie die auf fermentierter Grundlage, sind anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Uns fehlt bei vielen Gerichten das Gemüse, das wir uns frisch vom Markt kaufen und auch häufiger selbst kochen. Aufgrund der hohen Temperaturen sind die Lebensmittel nur kurz haltbar und müssen schnell verwertet werden. Nach dem Abendessen läutet die Glocke zur „Prep-time“. In dieser Zeit lernen die Schüler für sich und wiederholen Inhalte, die sie in der Schule gelernt haben. Um 19:45 erklingt die letzte Glocke des Tages. Mädchen und Jungs gehen in ihre jeweiligen Schlafhäuser. Schon bald herrscht eine friedliche Ruhe auf dem Baobab Gelände und man sieht nur noch die ein oder andere Ziege über das Gelände streifen.


Wiedersehen mit Tiefgang - Die Begegnung mit einer ehemaligen Schülerin

Besonders bewegend ist das Wiedersehen mit der ehemaligen Schülerin Edith. Edith war damals sechs Jahre alt und das zweitjüngste Kind im Projekt, als ich sie kennenlernte. Gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Jessica lebten sie bei ihrer Ziehmutter im Projekt. Als sie mich sieht, lächelt sie und steht nach kurzem Zögern auf. Sie kommt auf mich zu und umarmt mich. Jona‘s erster Eindruck ist, dass sie eine starke Traurigkeit und tiefes Leid in ihren Augen trägt. Edith‘s Lebensgeschichte ist geprägt von tiefen Verletzungen und traumatischen Erfahrungen. Ihre Mutter ist eine ehemalige Schülerin von Baobab und lebte bei Baobab, als Edith zur Welt kam. Sie floh mit ihrem neugeborenen Kind in die Hauptstadt Accra. Edith war gerade mal 8 Monate alt. Dort lebten sie eine Zeit lang auf der Straße und Edith wurde stark unterernährt, unterentwickelt und traumatisiert. Als die Baobab Children Foundation sie wieder aufnahm, hatte man den Eindruck, dass Edith den Teufel höchstpersönlich gesehen hätte. So berichtet die Gründerin Edith de Vos. Nach ca. 7 Jahren bei Baobab wird probiert sie wieder in ihrer biologischen Familie einzugliedern. Die unerwartete dramatische Folge war, dass sie von ihrem Stiefvater vergewaltigt wurde, im Alter von 9 Jahren. Nach der Anzeige durch Baobab bekam dieser 10 Jahre Haft für das Verbrechen. Das Projekt unterstützte Edith weiter ihren Schulabschluss zu machen. Nach Beendigung verließ sie das Projekt. Mit der Zeit hörte Baobab, dass Edith auf der Straße oder vor der Tür ihrer Großmutter schlief und stark sich selbst überlassen war. Baobab zeigte erneut die Bereitschaft sie wiederaufzunehmen und ihr ein eigenes Haus in vertrauter Umgebung auf dem Gelände zu bauen. Einen Ort, an dem sie sich sicher fühlt und nebenbei als Kenteweberin für Baobab arbeiten kann, um etwas Geld zu verdienen. Edith leidet bis heute an Epilepsie und Traumafolgestörungen. Der Umgang mit ihr bleibt herausfordernd. Dank vieler Spenden von euch und vielen anderen Menschen konnte das Haus von Edith fertiggestellt werden. Aktuell wird noch ein Bambuszaun gebaut und wenn dieser fertig ist, soll Edith voraussichtlich mit einer anderen Kenteweberin in das Haus einziehen.

Jona und ich sprechen ausführlich mit Edith, der Gründerin und dem General Manager Alhaji über die aktuelle Situation von Edith. Die Arbeit mit ihr bleibt für alle eine große Herausforderung. Aufgrund ihres besonderen Verhaltens wird Edith von den meisten Jugendlichen im Projekt gemieden. Die Einzige, die viel Zeit mit Edith verbringt und einen guten Kontakt zu ihr hat, ist ihre Schwester Jessica. Bei unserer Ankunft ist das Bild sehr deutlich. Edith sitzt alleine auf der einen Seite des Mädchenschlafsaals und auf der anderen Seite hockt eine Gruppe von Schüler*innen und schaut sie skeptisch an. Ich versuche etwas Informationen von den Mädchen zu bekommen, was ihre Herausforderungen mit Edith sind. Diese berichten, dass Edith sich nicht regelmäßig waschen würde, immer Barfuß laufen würde und ihre Kleidung häufiger dreckig und kaputt sei. Wenn sie sie daran erinnern, dass sie duschen solle, würden sie oft unfreundlich dafür angemacht werden. Ein großes Thema, das die Gründerin und Alhaji beschäftigt ist, dass sie regelmäßig in das nahegelegene Dorf gehe und ihren Körper für wenig Geld anbieten würde.

In dem Gespräch wird deutlich, dass alle ihr bestes geben, um Edith bestmöglich zu unterstützen, jedoch an ihre Grenzen kommen und teilweise nicht mehr wissen, was sie tun können.

Die Geschichte von Edith zu hören macht mich sprachlos und sie in ihrer aktuellen Situation zu sehen berührt mich tief. Ich habe bereits mit Kindern gearbeitet, die Traumaerfahrungen gemacht haben, aber in dieser Tiefe und mehrfacher körperlicher und seelischer Verletzungen ist es kaum vergleichbar mit den bereits bekannten Geschichten. Hinzu kommen die Gegebenheiten hier in Ghana. Jona und ich sprechen lange über Möglichkeiten, Chancen und die Begleitung von Edith. Wir stellen fest, das so ein Fall in Deutschland über längere Zeit in einer Klinik wäre und eng begleitet werden würde. Das Bedrückende für uns ist, dass es hier keine Therapiemöglichkeiten, geschweige denn traumaspezifische Kliniken gibt. Vor diesem Hintergrund ist Baobab aus unserer Sicht das größte Geschenk, was ihr hätte passieren können. Ein vertrauter Ort mit bekannten Menschen, die sich immer wieder darum bemühen sie zu unterstützen und an dem sie sicher ist. Wer weiß, wo sie ohne Baobab stehen würde.


Sich selber wiederfinden - Traumabewältigung durch Spüren, Vertrauen und Selbstannahme

Nachdem ich einen ersten Zugang zu Edith bekommen habe und wir ausführlich über die aktuelle Situation und die Herausforderungen informiert wurden, heißt es für mich all die Informationen sacken zu lassen und zu schauen, was ich und wir in den sechs Wochen realistisch leisten können. Nach anfänglicher Sprachlosigkeit über die Details ihrer Lebensgeschichte, nehme ich mir Zeit, um das Wissen aus meiner Traumapädagogikausbildung zu sammeln und mir einen Überblick zu schaffen. Ich werde in den nächsten sechs Wochen nahezu täglich mit Edith arbeiten. Dazu ist es mir wichtig eine feste Struktur und Verlässlichkeit mit ihr zu schaffen. Eine weitere Idee ist, Körperübungen zur Stärkung des Körperbewusstseins zu integrieren und ihr zu erklären und fühlen zu lassen, das all ihre Gefühle ihre Berechtigung haben und gefühlt werden dürfen. Obwohl Edith bald 19 Jahre alt wird hat man das Gefühl, dass man ein Kind vor sich hat, das an die Hand genommen werden möchte, dem Liebe fehlt und das nach Aufmerksamkeit schreit. Mit dem zeitnahen Einzug in ihr neues Zuhause möchte ich sie daher mehr in ihrer Eigenständigkeit unterstützen. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit wird der Bereich der Psychoedukation sein. Psychoedukation bedeutet die Aufklärung über psychische Erkrankungen, deren Ursachen und Symptomen. Dabei wird direkt mit den Betroffenen gearbeitet und ihnen das eigene Verhalten näher erklärt. Ziel ist es, ihren Umgang mit der psychischen Belastung und den Umgang damit zu erleichtern. Es ist mir wichtig ihr zu erklären, warum sie so ist wie sie ist und das jedes Verhalten einen Sinn macht. Viele Verhaltensweisen, die für Außenstehende als „sonderbar“ wahrgenommen werden, sind keine willentliche Entscheidung von ihr. Sie sind ein Versuch ihres Unterbewusstseins, um ihre Traumata zu verarbeiten. In den Gesprächen fällt mir auf, dass sie sich oft selbst schuldig erklärt oder voller Scham wirkt. Wenn ich Edith abends vor der Tür auf dem Boden des Mädchenschlafsaal sehen liege oder sie in ihrer zerschlissenen Kleidung herumläuft, dann spiegelt sie für mich gewohnte Verhaltensweisen aus ihrer Kindheit wieder, als sie in Accra auf der Straße gelebt hat. Dazu bewegt sie sich wie eine schwangere Frau, obwohl sie nicht schwanger ist und imitiert damit Verhaltensweisen ihrer Mutter aus der Zeit der Obdachlosigkeit.

Das Wichtigste was ich aus der Traumalektüre wiederfinde ist in diesem Fall, dass ein missbrauchtes Kind Zeit, Sicherheit und Verständnis braucht. Jede positive Erfahrung hilft ihr dabei wieder Vertrauen in sich selbst und die Welt aufzubauen.

Für die gemeinsame Zeit treffen wir uns entweder vor ihrem neuen Haus unter dem Mangobaum oder in ihrem baldigen Zuhause. Die Wände sind in einer warmen Farbe gestrichen, die eine angenehme Atmosphäre ausstrahlen.

Meine Erfahrungen aus der ersten Woche sind vielfältig. Ich habe das Gefühl, dass wir dabei sind ein gutes Vertrauensverhältnis zueinander aufzubauen. Trotzdem weiß ich nicht, in welcher Verfassung ich Edith morgens begegne. An einem Tag wirkt sie verärgert, dass ich sie während ihrer Kenteweberei störe. An einem anderen Tag lächelt sie mich an und unterbricht sofort ihre Arbeit. Wir treffen uns jeden Tag zur gleichen Uhrzeit, um eine Routine aufzubauen. Dazu verbinde ich körperliche Übungen mit Gesprächsinhalten. Ich schaue, mit was Edith mir an dem Tag begegnet. Meine Verfassung hat einen direkten Einfluss auf unsere Arbeit. An einem Morgen fühle ich mich selbst ungeduldiger und sensibler und stelle die Arbeit nach unserer Zeit stärker in Frage. Hat das überhaupt einen Sinn was ich dort tue, woher will ich wissen, was sie erreicht, wenn ich kein direktes Feedback bekomme oder auch was die sprachliche Barriere für einen Einfluss hat. Es bleibt meine persönliche Herausforderung, geduldig und ohne Erwartung mit ihr zu arbeiten und das Positive anzuerkennen. Ein Erfolg ist, dass sie täglich in die Zusammenarbeit geht und je nach Tagesform redseliger und offener ihre Emotionen, wie Traurigkeit und Ärger äußert. Sehr dankbar bin ich über den thematischen Austausch und die Reflexion mit Jona zu dem Thema. Durch seine Expertise kann ich hilfreiche Impulse mit in meine Arbeit einfließen lassen.

Ein Tag war für mich besonders schön, als ich das Gefühl hatte, dass sie mit voller Aufmerksamkeit dabei war und den direkten Augenkontakt zu mir suchte. Bei den Körperübungen lehnt sie sich mittlerweile entspannter zurück in den Stuhl und lässt sich von meinen Worten leiten. Ich bin gespannt, was uns in den nächsten Wochen und in der gemeinsamen Arbeit begegnet.

Was mich außerhalb unserer Zusammenarbeit beschäftigt ist der Umgang mit mentaler Gesundheit in Ghana. Ich verstehe, dass einige Mitarbeitende viel Energie in die Zusammenarbeit mit Edith gesteckt haben und an ihre Grenzen kommen. Ihnen zu erklären, dass ihr Verhalten Sinn macht und sie nicht dafür zu verurteilen ist manchmal gar nicht so einfach und verärgert mich. Ich habe das Gefühl, dass von vielen erwartet wird, dass sie sich wie eine normale Frau verhalten solle. Beim näheren reflektieren zeigen mir die Mitarbeitenden nur, dass sie selbst hilflos in der Arbeit sind und dass auch dafür Verständnis aufgebracht werden muss.

Neben der Einzelarbeit machen Jona und ich uns nähere Gedanken dazu, wie wir das Team im Umgang mit Edith mitnehmen können. Ein Mitarbeiter äußert den Wunsch, einen Leitfaden von uns zu erhalten, in dem über die Hintergründe von Edith aufgeklärt wird und konkrete Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Dieser Leitfaden soll im weiteren Verlauf mit den Mitarbeitenden geteilt werden.


Farben, Worte, Hoffnung - Brights persönliche Geschichte

Nach der Schule sitze ich mit Bright zusammen, der schon seit vielen Jahren Teil der Baobab Gemeinschaft ist. 2011 kam er als Schüler ins Projekt und arbeitet mittlerweile als Künstler und unterstützt den Kunstunterricht. Er ist 30 Jahre alt und wird immer wieder mit seiner Krankheit, der Muskeldystrophie, herausgefordert. 2021 hatte er zwei Stürze. Seitdem kann er nicht mehr selbstständig stehen und laufen. Hinzu kommt, dass sein Bruder mit 23 nach einem Sturz aus seinem Rollstuhl und anschließendem Krankenhausaufenthalt verstorben ist. Sowohl Bright als auch Collins tragen die Angst in sich früher oder später ihrer Krankheit vollständig ausgesetzt zu sein. Während Collins deutlich mehr Traurigkeit ausstrahlt, wirkt Bright lebensfroher und findet viel Kraft im Zeichnen eigener Kunstwerke. Er sagt, dass es wichtig sei große Träume zu haben. Beide Brüder haben eine Leidenschaft für das Rappen und verarbeiten ihre Gefühle in eigengeschriebenen Texten und geben diesen einen persönlichen und tiefgründigen Hintergrund.

Durch den Verkauf seiner Bilder konnte Bright seiner jüngeren Schwester das Studium finanzieren. Darauf ist er besonders stolz. Auch sein eigenes Handy konnte er sich über die Einnahmen seiner Kunstwerke finanzieren. Er trägt stets einen Stoffbeutel bei sich, der mit Plastikverpackungen und Wassertüten gefüllt ist. Was für andere Müll ist, verwandelt er in Kunst – er recycelt die Materialien und nutzt sie für seine Bilder.

Er erzählt mir, dass er bereits eine Osteopathiebehandlung gehabt hätte, nach der er sich deutlich besser und kraftvoller gefühlt habe. Insgesamt sei er offen und fragt Jona direkt nach einem Termin.

Sein großer Wunsch ist es wieder laufen zu können und weniger Schmerzen zu haben. Auf die Frage hin, ob er offen für gemeinsame Bewegungsübungen ist, sagt er entschlossen ja. Die Idee ist, dass wir eine Gruppe aus Schüler*innen zusammenstellen, mit denen wir regelmäßige Körperübungen machen. Die Übungen sollen auch über unsere Zeit im Projekt hinaus von einem Mitarbeiter weitergeführt werden.


Ganzheitliches Wirken - Jona‘s osteopathische Arbeit

Jona verwirklicht sich einen lang ersehnten Traum. Es ist ihm ein großes Anliegen mit Menschen zu arbeiten, die einerseits besondere körperliche Einschränkungen haben und andererseits keine Chance oder Zugang zu osteopathischen Behandlungen haben. Der Einfluss solcher Behandlungen in diesen Fällen kann eine vielversprechende Verbesserung der Lebensqualität darstellen.

Da in Ghana die Osteopathie so gut wie nicht verbreitet ist, ist es für viele Schüler*innen eine neue Erfahrung. Baobab verfügt über ein eigenes Therapiezentrum mit entsprechenden Behandlungsliegen und Bewegungsmaterialien. Frederik, ein ghanaischer Mitarbeiter aus dem Projekt, nutzt derzeit die Räumlichkeiten und hat eine Feldenkrais Ausbildung in Deutschland gemacht. Ansonsten hat er Erfahrungen von gelernten Physiotherapeuten gesammelt, die eine Zeit lang im Projekt gearbeitet haben. Die Krankheitsbilder der zu behandelnden Schüler*innen reichen von Muskeldystrophie, Polio, Zerebralparese, diversen Lähmungen und Spastiken bis hin zu ungeklärte Diagnosen.

Ein ehemaliger Schüler, der im Rollstuhl sitzt, kann es kaum erwarten seine erste Behandlung von Jona zu erhalten. Er meldet sich als erster bei ihm und verlässt den Behandlungsraum mit einem großen Grinsen. Auch Bright und Collins stehen mit auf dem Behandlungsplan. Während es Bright in der ersten Behandlung noch nicht gelingt zu stehen, ist der zweite Versuch umso erfreulicher. Diesmal gelingt es ihm ohne Abstützen auf der Liege ein paar Minuten zu stehen. Ich begleite Jona bei den Behandlungen von Bright und werde als Assistentin mit eingebunden. Dabei lerne ich viel über körperliche Strukturen, anatomische Grundlagen und mentale Aspekte während er Behandlung. Neben den Behandlungen etablieren wir Atem- und Körperübungen für die Brüder und möchten die nächsten Woche auch aktiv mit ihnen weiterarbeiten. Zur Weiterführung der Übungen wird Frederik aktiv mit eingebunden.

Ein Fall, der Jona beschäftigt ist eine Schülerin, die mit einer Krücke läuft und unter halbseitiger Lähmung leiden soll. In der Erstbehandlung stellt Jona fest, dass sie ähnliche Symptome wie Bright und Collins zeigt. Seine Verdachtsdiagnose könnte eine Muskeldystrophie sein. Im Nachgang der Behandlung wird deutlich, dass bei der Schülerin keine Diagnostik gemacht wurde. Nun stellt sich die Frage, wie mit der Information umgegangen werden soll. Sie hat ein Recht darauf zu wissen, was mit ihr ist und inwieweit die Krankheit ihre Zukunft bestimmt. Bestätigt sich der Verdacht, dann kann dies eine drastische Veränderung auf ihr Leben haben. Mit solchen Themen konfrontiert zu werden beschäftigt Jona auch nach getaner Arbeit. In dem nächsten Beitrag wird er euch nochmal einen genaueren Einblick aus seiner Perspektive und Arbeit geben.



Auftritt der Culture Troupe - Energie in Bewegung

Wir haben das Glück die Culture Troupe bei ihrem Auftritt nach Cape Coast zu begleiten. Die Gruppe besteht aus Schüler*innen von Baobab und Kindern aus den nahegelegenen Dörfern. Gemeinsam trainieren sie einmal die Woche auf dem Baobab Gelände. Der Tanz der von einer Gruppe Trommlern begleitet wird handelt von gesellschaftlichen Dramen. Sie handeln von Konflikten zwischen Männern und Frauen, den Religionen und den verschiedenen Stämmen und deren Lösung, von dem Wert der Bildung, vor allem auch für die Mädchen, von Teenager Schwangerschaft und Umweltbewusstsein. Sie machen bewusst und schlagen Problemlösungen vor, was bei Auftritten immer wieder zu großen Diskussionen unter den Zuschauern führt. Baobab‘s Culture Troup besteht seit 2004 und führt seitdem die Tradition von Trommeln und Tanz weiter. Bei diesem Auftritt sind alle in traditionellen Gewändern gekleidet und die Gesichter bemalt. Es wird ein Tanz mit traditionellen Tontöpfen aufgeführt, die auf den Köpfen der Schülerinnen getragen werden und daraus eine Flamme brennt. Der Tanz wird dazu vom Trommelrhythmus begleitet. Die Gruppe ist mit voller Energie dabei und der Moderator hat große Schwierigkeiten den Auftritt zu beenden und weiter durchs Programm zu führen.



Auszeit am Kosa beach

Am Wochenende gönnen wir uns eine Auszeit am Meer, am nahegelegenen Kosa beach. Abseits des Projektes und der vielen Begegnungen lassen wir all die Eindrücke auf uns wirken. Wir genießen es morgens in Ruhe auszuschlafen, ohne von den Dorfradios geweckt zu werden. Einfach am Meer zu sein, unterzutauchen und frische Luft zu genießen steigert unser Wohlbefinden. Dazu etwas Luxus, wie ein kalter Eiskaffee aus einer richtigen Kaffeemaschine ist etwas, das wir in Deutschland oft als selbstverständlich nehmen und hier etwas besonderes ist. Am Sonntag treffen wir uns mit Edith, der Projektgründerin und tauschen uns ausführlich aus und verbringen den Tag zusammen am Strand.



Der Buschweg zurück ins Baobab Center

Frauenpower - Fußballtraining mit den Baobab Strikers

Eine Neuheit die es vor 13 Jahren noch nicht im Projekt gab ist ein eigenes Frauenfußballteam. Zweimal die Woche trainieren die Mädels mit einem Trainer aus Cape Coast. Die Jungs sind etwas neidisch darauf, dass sie nicht ebenfalls ein Training erhalten. Sie spielen jedoch selbstständig und organisieren sich selbst. Ich nehme am Training teil und freue mich mal wieder zu kicken. Das letzte Mal stand ich noch in Berlin auf dem Platz und habe in einer Freizeitmannschaft mitgespielt. Jetzt stehe ich bei 32 Grad in Ghana mit 15 Mädels auf dem Fußballplatz von Baobab. Der Trainer geht sehr strukturiert vor und es wird viel Techniktraining gemacht. Zum Abschluss wird ein Spiel gespielt. Über die Hälfte der Spielerinnen spielt Barfuß. Trotz meiner Motivation merke ich, wie die Hitze mich träge macht und ich trinke bereits im Training eine ganze Flasche. Trotz der Anstrengung macht es mir großen Spaß Teil des Teams zu sein und die Stimmung ist freudig und offen.

Aus Deutschland haben wir einen Koffer mit Fußballschuhen, Sportschuhen und Bällen für das Projekt mitgebracht. Danke an dieser Stelle nochmal an alle Spender*innen. Wir sind dabei ein Ausleihsystem für das Projekt zu erstellen, damit möglichst viele Jugendliche die Schuhe nutzen können. Nachdem wir ein gemeinsames Foto gemacht haben, werden die Schuhe direkt mit großen Augen begutachtet und probegetragen. Und abends klopft es an unserer Tür und ein Schüler sagt, dass er unbedingt Schuhe für das Fußballturnier brauche. Wir freuen uns, dass die Mitbringsel direkt verwendet werden wollen und kümmern uns schnellstmöglich um das Organisatorische.



Zu guter letzt noch erfreuliche Nacht - Jona‘s Gepäck ist nach 21 Tagen in Ghana gelandet und wird nächste Woche von einem Mitarbeiter mit ins Projekt gebracht ♡


Bis zum nächsten Blogeintrag :)





 
 
 

1 Comment


sabine.stroh
Mar 24

Vielen herzlichen Dank für diesen ausführlichen Bericht! - Euer Einsatz beeindruckt mich bei jedem Block-Eintrag noch einmal mehr. Die Bilder von Bright sind wunderschön. Könnte ich davon eines kaufen - oder wäre das viel zu kompliziert? Liebe Grüße, Sabine

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